Pressestimmen
A Wagnerian Treat for Children: ‘Tannhäuser’
By ANTHONY TOMMASINI - BAYREUTH, Germany — There is a general and well-founded perception of the Bayreuth Festival as an elitist stronghold for opera, as much a shrine to Wagner as a festival of his works. And there is no ticket harder to come by. Wagner lovers wait an average of 10 years to get a coveted ticket to the Festspielhaus, which seats only about 2,000.The new co-directors of the festival, Eva Wagner-Pasquier and Katharina Wagner, who are half-sisters (and Richard Wagner’s great-granddaughters), are determined to make it more people-friendly and open. Last summer, in a new venture, the festival presented the first offering of Wagner for Children: a playful mini-production of “Der Fliegende Holländer” (“The Flying Dutchman”), trimmed to 60 minutes.
On Tuesday afternoon, a couple of hours before “Lohengrin” began at the main house, the festival presented the last of 10 performances of this summer’s Wagner for Children offering: a 70-minute, irreverent and charming production of “Tannhäuser,” directed by Reyna Bruns. It took place in one of the rehearsal halls for an audience of roughly 200 people, mostly children, including many very young ones. I have seldom been among such delighted operagoers.
This was no run-through with singers and a piano, but a proper performance of excerpts from the opera, played by 29 members of the Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt, led by a dynamic young conductor, Hartmut Keil, and featuring a large cast of gifted younger singers and a chorus. The tenor Jeffrey Dowd brought a robust voice to the title role and looked endearing in his ragtag shirt and dingy jeans. Some of the cast members are also in the main festival productions. (The singers who performed Elisabeth and Venus are also appearing as Valkyries in “Die Walküre.”)
The story of “Tannhäuser” was adapted to make it more age-appropriate. As written, when Wagner’s opera opens, we see the minnesinger Tannhäuser enjoying round-theclock Bacchanalian orgies in Venus’s enchanted realm. Part of him knows he should get out of there, but he cannot help himself.
In this production for children, however, the opera began with a made-up spoken scene. We see young Tannhäuser and fellow minnesingers in what looks like a barracks, getting ready for bed. Tannhäuser is strumming his ukulele, making up a melody that will later become his impassioned love song to Venus. An officer then pops into the barracks and tells everyone to pipe down. “Lights out!”
Then, in a short transitional scene, we see the Young Shepherd in the opera pass by: the soprano Christiane Kohl, dressed as a newspaper delivery boy on a bike. Finally Tannhäuser encounters Venus. She is not a sexpot but an urban party girl, played by the mezzo-soprano Alexandra Petersamer. Her hair is a riot of colored braids, and she gets around on a skateboard. She starts calling Tannhäuser “Tanny,” and he cannot resist her sassy vitality. Her gal pals play with what looks like the tails of exotic serpents and keep huge spiders as pets. I was not exactly sure what this all meant. Still, the kids squealed with delight.
The virtuous Elisabeth, the soprano Sonja Mühleck, is portrayed as a sensible young woman who works in a computer lab, represented by black walls dotted with 1’s and 0’s, which Elisabeth nimbly moves around. Children in the audience were frequently invited to take part, helping to move sets or holding props during the song contest.
Once, when Tannhäuser asked himself out loud (in German, of course), “Where did I put my crayon?,” a little girl in the audience volunteered, “It’s in your hand!” Which it was. This was not just fun and games with “Tannhäuser,” but also a real mini-musical performance. The big arias and choruses were heard, including the “Song to the Evening Star,” beautifully sung by the baritone Marek Reichert as Wolfram. At the end, when Tannhäuser, having completed his pilgrimage to Rome to atone for his sins and win Elisabeth’s blessing, joined in the angelic final chorus, the doors behind the stage were thrown open, revealing afternoon sun, leafy trees and some confused-looking passers-by on the grounds of the opera house.
The festival plans to keep this new popular venture going. The performances are free for children and also for a parent bringing them. If two parents come, then one pays 20 euros (about $26). This is to foster audiences that are mostly kids. The tickets can be secured in advance, and they disappear, Katharina Wagner said in an interview, as soon as they go online.
After this “Tannhäuser,” the cheering ovation went on for 10 minutes. Venus was the favorite, which is not exactly the message, many would say, that we are supposed to take from the opera. But who cared?
The New York Times, Erschienen am 06.08.2010
Sinnlichkeit der Gedärme - Orgien-Mysterien-Theater denken Wagner weiter
BAYREUTH. Ein kleiner, alter Mann, kräftige Statur, gänzlich schwarz gekleidet, betritt die Probebühne IV des Festspielhauses. Als er sich setzt, reicht sein weißer Rauschebart, der am Ende Farbe bekommt, bis zum Bauchansatz. Den schwarzen Hut lässt er achtlos zu Boden fallen.Wenn er spricht, greift er häufig zum Wasserglas. Sieht so einer aus, der für seine Orgien-Mysterien-Theater berüchtigt ist, dessen blutige Aktionen und Opferrituale Tierschützer und Theologen gleichermaßen auf den Plan riefen?
Hermann Nitsch war gestern Gast der Bayreuther Festspielgespräche. Im Programmzettel dieser „Zäsuren“, ist er als einer der bedeutendsten Wagner-Erben der zeitgenössischen Kunst bezeichnet. In Bayreuth tritt er unprätentiös auf, unspektakulär beinahe.
Das, was er momentan auf Bayreuths Opernbühne sieht – ihm gefällt’s nicht. Verrät er am Ende. Flüsternd. „Parsifal“ meint er damit vor allem, ist „Parsifal“ doch das Werk Wagners, mit dem er dem Mythos so nahe kam, wie in sonst keiner seiner Opern.
Des flüsternden Bekenntnisses, dass ihm Stefan Herheims Interpretation des „Parsifals“ nicht gefalle, hätte es gar nicht bedurft. Denn schon während des Dialogs mit Carsten Jenß, der das Gespräch leitete, deutete Nitsch an, dass Herheim genau das umsetzt, was Nitsch nie im Leben auf die Bühne brächte. Zum Beispiel Politik. „Gewisse Moderegisseure verhunzen Klassiker, indem plötzlich Nazi-Symbole auftauchen.“
Nitsch, aus kleinbürgerlichem Haus, habe sich von frühester Jugend an zum Werk Wagners hingezogen gefühlt. Die „sinnliche Gewalt seiner Musik“ hatte es ihm angetan. Das extrem Erotische, diese sadomasochistische Kunst, mit der Wagner Mythen aufbereitete. Sinnliches Erleben stellte Nitsch fortan auch in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Kunst soll, so sein Credo, mit allen Sinnen erlebt werden. Das Publikum schmeckt in seinen Aktionen Kirschgeschmack, greift mit den Händen in warme Gedärme ... Das sei für Nitsch wahres, intensives (Er-)Leben. Je sinnlicher der Eindruck ist, den man aus der Kunst mitnehme, desto größer sei deren Bedeutungsgehalt. Wenn man so will, habe er den Begriff des Mythos – ohne den es kein Theater gebe – seit Wagner weiterentwickelt. Liegen zwischen ihm und Wagner doch auch Sigmund Freud und Carl Gustav Jung und deren psychoanalytischen Gedanken. In diesem Sinn kämpfe er auch dafür, dass „das Werk eines Künstlers so sehr geschützt wird, dass niemand sein Werk verhunzen kann“. Im konkreten Fall heißt das für ihn Boykott.
Den „Parsifal“, der gestern gegeben wurde, sah er sich nicht an. Weil er „zu feige und zu alt“ sei, sich mit verbundenen Augen in die Vorstellung führen zu lassen.
festspiele.de - Ulrike Sommerer, Erschienen am 10.08.2010
Wagner fürs Volk
Wagner ist nicht elitär. In lockerer Atmosphäre baut das Public Viewing Hemmschwellen ab. Mit der kindgerechten Fassung des "Tannhäuser" und einem Erlebnisparcours zielt die Festspielnacht auf das Opernpublikum von Morgen.Richard Wagner wollte Oper für alle machen, auch für Kinder. Vor der dritten Live-Übertragung einer Wagner-Oper aus dem Festspielhaus in Bayreuth wurde am Samstag erstmals unter freiem Himmel eine Aufzeichnung des "Tannhäuser" aus dem Projekt "Wagner für Kinder" gezeigt. Katharina Wagner hatte die Reihe vor einem Jahr gestartet - mit Erfolg.
Nach dem "Tannhäuser" durfte der Zuschauernachwuchs auf einem Erlebnisparcours seine Kreativität entfalten und einen Blick hinter die Kulissen einer Opern-Inszenierung werfen. Bei sommerlichen Temperaturen herrscht auf dem Bayreuther Volksfestplatz Party-, Strand- und Biergartenatmosphäre zugleich, ein echter Kontrast zum manchmal etwas steifen Umfeld oben auf dem "Grünen Hügel".
Mehr als 1000 Kinder lassen sich in die Welt des Minnesängers Tannhäuser und der Liebegöttin Venus entführen. Im "Sängerkrieg auf der Wartburg" treffen zwei Welten zusammen, erläutert Festspielleiterin Katharina Wagner. In der einen ist alles verboten, in der anderen kann man tun und lassen, was man will. "Oper ist ein Gesamtkunstwerk, daraus lernen Kinder auch fürs Leben."
Lena schlüpft nach der gut einstündigen Aufzeichnung des "Tannhäuser" in das Kostüm der Liebesgöttin Venus. Die angehende Maskenbildnerin Susanna Thullen schminkt die Fünfjährige und stylt ihre Haare. Nebenan bemalt die neunjährige Julia ein T-Shirt mit der Liebesgöttin. Wenige Meter weiter stehen Daniel (4) und Dennis (5) mit Helm und Brustpanzer, in der Hand große Schwerter, die ihnen deutlich über die Köpfe reichen.
Später werden die Bilder der Wagner-Oper "Die Walküre" in der Inszenierung des Dramatikers Tankred Dorst für die Erwachsenen von acht ferngesteuerten Kameras auf den Platz übertragen.
"Sie bieten die Möglichkeit, die Akteure auf der Bühne aus nächster Nähe zu zeigen", betont Regisseur Michael Dillmann. Viele der insgesamt rund 40 000 Besucher sehen allerdings nur einzelne Aufzüge der "Walküre" auf der 90 Quadratmeter großen LED-Wand. Denn einschließlich der beiden einstündigen Pausen dauert das Werk fast sechs Stunden.
Am späten Abend lassen sich auch die Sänger auf dem Volksfestplatz feiern. "Ich freue mich auf nächstes Jahr", bedankt sich Katharina Wagner beim Publikum. Dann wird die diesjährige Neuinszenierung des "Lohengrin" in der Regie von Hans Neuenfels live übertragen. Für Kinder ist eine Kurzfassung der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" geplant".
stern.de, Erschienen am 23.08.2010
Venus auf dem Skateboard
Von Christine Potyra - Beim Bayreuther Tannhäuser für Kinder geht es mitreißend turbulent zu. Edler Operngesang mischt sich mit krasser Jugendsprache.Bayreuth - Was haben Tannhäuser und ein Flamingo gemeinsam? Beide sind bunte Weltenbummler, die irgendwie ihren Platz in der Welt noch nicht so recht gefunden. So jedenfalls sieht es in der Tannhäuser-Welt aus, die - nach einer Idee von Katharina Wagner - von Alexander Busche und Reyna Bruns erfunden und am Festspieleröffnungssonntag dreieinhalb Stunden vor der Lohengrin-Neuinszenierung auf der Probebühne IV dem großen und kleine Publikum vorgestellt wurde. Mit dieser Produktion übertrifft das junge Team um die Festspielchefin den stark bejubelten Kinder-Holländer vom letzten Jahr noch deutlich.
Mitreißend turbulent geht es in einem Gemisch aus edelstem Operngesang und krasser Jugendsprache auf der Bühne zu: Wolfram von Eschenbach (oberstreberhaft perfekt: der Coburger Bariton Marek Reichert), Tannhäuser (supercool-kindgerecht: Jeffrey Dowd) und ihre Mit-Ritter werden hier zu Internatsschülern. Zur Wagners Ouvertüre - feinsinnig und lebhaft zugleich vom großartigen Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter der Leitung von Hartmut Keil ausgeführt - liefern sich die sechs Jungs erstmal eine handfeste Kissenschlacht, bevor der Internatsleiter Landgraf (sehr streng mit Antennen-Peitsche und Trillerpfeife: Mario Klein) zur Ordnung mahnt. Sofort formieren sich die strebsamen Wartburg-Schüler und plappern wie Maschinen: "Wir halten streng die Ordnung ein." Nur einer tut sich schwer damit: Der Freigeist Tannhäuser.
Er hält sich nicht an die Regeln, singt im Schlafsaal noch ein bisschen seine neueste Komposition vor sich hin - und wird von den vermeintlichen Freunden weggeschickt. Doch kaum steht er alleine da, taucht auch schon Venus (Alexandra Petersamer) auf dem Skateboard in ihrem schrill-bunten Outfit auf; die kreative, vielseitige Ausstattung stammt übrigens von Lea Walloschke nach Kostüm-Entwürfen von Schülern der Nelson-Mandela-Schule Berlin, die den diesjährigen Kostümwettbewerb gewonnen hat.
Vor dem Orchester klappt der Venusberg nach vorne auf, bunt gemusterte, verführerische Riesententakeln scheinen nach Tannhäuser zu greifen - und er lässt sich gewinnen von einer Welt, die seine Kunst endlich anerkennt. Mit Hilfe von Kindern aus dem Publikum dichtet er sein Preislied zu Ende, in dem er sich aber auch schon wieder aus der Zauberwelt verabschiedet.
Verflucht von Venus trifft er in der strengen Wartburg-Welt auf Elisabeth (Sonja Mühleck). Sie wünscht sich ihn als besten Freund. Um Freundschaft geht es hier und um die Leidenschaft zur Musik: Wolfram und Tannhäuser buhlen beide um Elisabeth als beste Freundin, ein Sängerwettstreit soll entscheiden. In Tannhäusers Vortrag brechen Venus und ihre Tentakeln durch die Wand herein, der Plastik-Flamingo in Übergröße aus dem Venusberg verwirrt die Wartburg-Bewohner, Flummis fliegen, kurz: alles steht Kopf, die Kinder sind aus dem Häuschen.
Und die allerbeste Nachricht: Nach eineinviertel kurzweiligen Stunden Wagner-Oper und Tannhäusers vergeblicher Pilgerreise nach Rom muss nicht Elisabeth sterben, sondern die Tore der Probebühne öffnen sich, geben den Blick frei auf den Riesenflamingo und die Wartburg-Gesellschaft zieht gemeinsam mit den inzwischen zur Clique gewordenen Hauptdarstellern dem hellen Tageslicht entgegen.
Neue Presse Coburg, Erschienen am 26.07.2010